Vom Fernsehen versenkt

Die britische Titanic-Miniserie – eine Kritik

 

Auch wenn man Camerons Titanic gerne als „Hollywoodmärchen“ bezeichnet, hat er die Meßlatte für alle folgenden Titanic-Verfilmungen sehr hoch gehängt. Aber nicht so hoch, das keine spätere Verfilmung mehr Erfolg haben könnte. Hier liegt die Betonung aber auf „könnte“. 14 Jahre nach Camerons Titanic hatten wir im April 2012 nun das zweifelhafte Vergnügen, die neue britische Miniserie über die Titanic zu sehen. Von einer TV-Produktion kann man nicht die Special Effects und die akribisch recherchierte und perfekt umgesetzte Ausstattung erwarten, die uns Cameron beschert hat. Was man aber auch von einer TV-Verfilmung erwarten dürfte, wäre ein historisch möglichst sorgfältig recherchiertes und – um im Titanic-Jargon zu bleiben –  ein „praktisch unsinkbares“ Drehbuch. Aber wir wissen ja, nichts ist unsinkbar und wie auch schon die Titanic gesunken ist, geht auch diese Serie samt seiner „Composite Charakters“ unter.

Schon in der ersten Folge findet man drei grobe Fehler. Da wäre das Tanzen in der Ersten Klasse, an dem zu allem Überfluss auch noch ein ziemlich hemdsärmelig wirkender Officer Lightoller teilnimmt. Dann ist da der von Captain Smith geleitete Gottesdienst in der Ersten Klasse, der hier allen drei Klassen offen steht. Zu allem Überfluss zeigt die Verfilmung auch noch Frauen im Rauchsalon der Ersten Klasse – wenn dieser komische, eng wirkende, holzgetäfelte Raum denn der Rauchsalon sein soll…

Sehr irritierend wirkt auch die Szene, als Captain Smith die höhere Geschwindigkeit befürwortet und unter anderem von Ismay vergeblich darauf hingewiesen wird, dass die White Star Line für Luxus und Sicherheit anstatt Geschwindigkeit steht.

Und das in Friedenszeiten angeblich alle White Star Liner mit Geschützen (außer Handfeuerwaffen und Signalraketen) ausgestattet waren, ist mir auch neu …

Insgesamt wirken die meisten der verschiedenen Erzählstränge wenig originell, sehr konstruiert, verkrampft, und vielfach kaum glaubwürdiger als Camerons klassenübergreifende Liebesgeschichte. Auch kaum eine der historischen Personen macht eine gute Figur. Die Frage des sozialen Klasse und Herkunft wird in den Plots geradezu überbetont. Zahlreiche Szenen kommen dem Titanic-interessierten Zuschauer aus anderen Verfilmungen entlehnt vor. Über nahezu allen unterschiedlichen Plots liegt zudem eine permanent gereizte, auf ständige Konfrontation ausgerichtete Grundstimmung. Man könnte fast denken: „Bei so viel Zwist und schlechter Laune an Bord, musste das Schiff ja sinken!“

Schwer vorstellbar, dass von dem gleichen Drehbuchautor eine gute Serie wie „Downton Abbey“ stammt, die ja ebenfalls im edwardianischen England angesiedelt ist.

Zudem bekommt der Zuschauer außer ein paar kurzen Szenen und Einsichten in z.B. den letzten Vorbereitungen in Belfast, dem Mustern von Besatzungsmitgliedern, oder dem Speisesaal der privaten Dienstboten nichts Innovatives geboten. Stattdessen werden auf fast schon plumpe Art die üblichen Klischees serviert, wie die von Besatzungsmitgliedern bewachten und teilweise aufbegehrenden Dritte Klasse Passagiere. Im Gegensatz zu früheren Verfilmungen werden hier auch noch die italienischen Stewards permanent diskriminiert, eingesperrt und erst spät befreit – Szenen die irgendwie an Jack und Rose tief im Bauch der immer schneller sinkenden Titanic erinnern…

Die erste Idee zu einer neuen Verfilmung ist erst im Sommer 2008 entstanden. Das sind nur knapp vier Jahre bis zur tatsächlichen Ausstrahlung der Serie und angesichts des mäßigen Ergebnisses fragt man sich, ob das Drehbuch quasi „Made in Eile“ verfasst werden musste oder wie viel bzw. wenig Zeit dem Drehbuchautor Julian Fellowes überhaupt für die vorbereitende Recherche zu dem komplexen Thema Titanic und die tatsächliche Arbeit am Drehbuch blieb. Die Grundidee der Serie bestand darin, die Jungfernfahrt der Titanic aus möglichst vielen Perspektiven zu zeigen. Jeweils eine Folge bzw. ca. 45 Minuten sollte die Titanic einmal aus der Sicht der Ersten Klasse und ihrer privaten Dienstboten zeigen, in der nächsten Folge sollte dann der Schwerpunkt auf der Zweiten und Dritten Klasse liegen und wieder eine Folge sollte die Arbeit unterschiedlicher Besatzungsmitglieder an Bord zeigen. Die letzte Folge war dem tatsächlichen Untergang gewidmet und löst auf, wer überlebt und wer umkommt. Leider wurde dieses Konzept nicht konsequent genug durchgezogen, man sieht in den ersten drei Folgen von allen drei Klassen und den Besatzungsmitgliedern nahezu gleich viel. Zudem werden zahlreiche Szenen jeweils mit nur geringfügigen Abweichungen mehrfach in allen vier Teilen gezeigt. Eine Kontinuität der Ereignisse kommt im Laufe der ganzen Serie nicht zustande, jeglicher sich zaghaft andeutende Spannungsbogen fällt durch das Hin und Her in der Handlung immer wieder in sich zusammen. Auch werden einem viele der fiktiven Charaktere im Laufe der Serie kaum sympathischer oder bleiben einem schlicht weg gleichgültig, so dass man sich nicht wirklich interessiert oder gar mitfiebert, wer überleben wird – mit ein bisschen Kenntnis der unterschiedlichen Überlebenschancen an Bord, war es sowieso ziemlich vorhersehbar.

© Stefanie Spieker 2012

Erstveröffentlichung im Navigator Nr. 58 (Mai 2012)