Der ungarische Schiffsarzt der Carpathia

Im März 1912 erfüllte sich für Dr. Lengyel Árpád ein Traum – er musterte als Schiffsarzt auf der Carpathia der Cunard Line an. Damit bot sich für ihn die Möglichkeit, etwas von der Welt zu sehen.

Geboren wurde Lengyel Árpád am 19. März 1886 in Pilismarod, nordwestlich von Budapest. 1894 siedelte die Familie nach Budapest über, und nachdem Lengyel die Schule mit der Matura abgeschlossen hatte, studierte er Medizin an der königlich ungarischen Universität. Als HNO-Arzt war er dann in der Budapester „Szent Rokus“ Klinik tätig und arbeitete nebenbei u. a. als Rettungssanitäter. Seinen Traum, die Welt zu bereisen, konnte er sich mit einer erfolgreichen Bewerbung auf ein Stellenanzeige der Cunard Line erfüllen.

Die Carpathia befand sich auf der Rückreise von New York nach Fiume, als die Notrufe der Titanic empfangen wurden. Das Schiff nahm Kurs auf die Notrufposition, und der Kapitän ließ die Carpathia für mögliche Rettungsmaßnahmen vorbereiten. Damit wurden auch die Ärzte – die Carpathia hatte insgesamt drei an Bord – gefordert. Denn sie mussten sicherstellen, dass verletzte und möglicherweise sogar wahnsinnig gewordene Schiffbrüchige versorgt werden konnten, ganz abgesehen von den üblichen Maßnahmen gegen Unterkühlung und Schock. Dabei verteilten sich die Ärzte wie folgt auf die Klassen: Dr. McGhee, ein Engländer, war für die 1. Klasse zuständig, der italienische Arzt für die zweite Klasse und der ungarische Arzt für die 3. Klasse.

Die Carpathia kam zu spät, um der Titanic noch vor ihrem Untergang zu helfen. Aber sie war als erstes Schiff am Unglücksort und konnte die Überlebenden aus den Rettungsbooten bergen. Dr. Lengyel mit seiner Erfahrung als Rettungssanitäter übernahm die Aufgabe der Erstaufnahme der 712 Überlebenden – einige von ihnen hatten sich Verletzungen zugezogen, so z. B. Knochenbrüche und Hautabschürfungen, und allein 42 wurden chirurgisch von Dr. Lengyel versorgt. Viele Überlebende standen unter Schock, und eigentlich alle waren nach der langen Nacht in offenen Booten bei frostigen Temperaturen in der feuchten Seeluft durchgefroren. Manche der Überlebenden waren zudem nass geworden, als sie um ihr Überleben kämpften, ehe sie von einem Rettungsboot aufgenommen wurden. Man verabreichte den Überlebenden als erste Maßnahme gegen die Kälte heiße Getränke, Suppe und – damals wusste man es nicht besser – Weinbrand.

Dr. Lengyel hinterließ bleibenden Eindruck bei den Überlebenden, was sich in zahlreichen Dankesschreiben und Geschenken für den Arzt ausdrückte. Der Arzt selbst allerdings war nach dieser Erfahrung anscheinend von der Seefahrt kuriert. Denn nachdem die Carpathia Fiume wieder erreicht hatte, ging er von Bord und blieb von da an an Land. Über seine Erlebnisse im Zusammenhang mit dem Untergang der Titanic sprach er nur mit der New York Times im April 1912 und danach niemals wieder, auch nicht in privaten Kreisen.

Dr. Lengyel Árpád starb am 8. September 1940 im Alter von nur 54 Jahren in Budapest.

Die Titanic-Ausstellung in Linz hat das Leben von Dr. Lengyel Árpád in die ausstellungsergänzenden Inhalte aufgenommen.